Wie viele Stücke spielen deine fortgeschrittenen Schüler*innen pro Schuljahr? Weißt du welche Stücke ihnen besonders gut gefallen haben? Oder was sie gerne mal spielen möchten? Ich finde dies sind drei wichtige Fragen, die regelmäßig im Unterricht auftauchen dürfen. Wie du dies gestalten kannst und was das mit der Motivation deiner Klavierschüler*innen zu tun hat, erfährst du in diesem Artikel. Der dazugehörige Download befindet sich am Ende.
Diese Idee hatte ich ungefähr vor 15 Jahren: Eine Liste, auf der alle gelernten Stücke des Schuljahres stehen. Ich dachte, wenn meine Schüler*innen ihre Fortschritte zusammengefasst überblicken, könnte sie das extra gut motivieren. „Schau mal, alle diese Stücke hast du in diesem Schuljahr schon gelernt.“
Ich fing an alle gelernten Stücke aufzulisten. Vermutlich hatte ich damals um die 30 Schüler*innen, ich war am Tippen und Tippen und es wollte kein Ende nehmen. Endlich fertig händigte ich meinen Schülern glücklich ihre Listen aus. Sie bedankten sich freundlich, hefteten die Liste ab und wir setzten unsere Stunde fort. Wow, die Arbeit hatte sich ja echt gelohnt! Was für ein Eigentor…
Letzten Monat habe ich mich an diese Idee erinnert und gedacht, dass sie im Prinzip gut ist, ich aber zwei entscheidende Fehler gemacht habe:
- Fehler: Ich habe diese Listen für alle Schüler*innen erstellt. Auch für Anfänger, die eine große Anzahl von Stücken lernen. Die brauchen gar keine Extraportion Motivation und eine solche Liste braucht auch zu viel Zeit.
- Fehler: Ich habe die Listen in meiner Freizeit geschrieben, viel Zeit investiert, und dann abgesehen von Lob einfach ausgeteilt. Die Schüler*innen wussten wahrscheinlich gar nicht warum sie jetzt diesen Zettel kriegen und es fand auch keine Unterhaltung über die Stücke statt.
Was bringt die Auflistung von gelernten Stücken?
Warum finde ich diese Idee trotzdem gut? Mal abgesehen davon, dass ich Listen sehr gerne mag.
Fortschritt sichtbar machen
Die Liste der gelernten Stücke zeigt, wie viel – oder wie wenig – im Schul(halb)jahr gelernt wurde.

Wohlgemerkt, dein fortgeschrittener Schüler*innen.
Je weiter sie kommen, desto schwerer werden ihre Stücke.
Die Abstände zwischen den Stücken werden dadurch immer länger. Der Zeitraum in dem sie ein Notenheft durcharbeiten dehnt sich ebenfalls aus, teilweise spielen sie zwei bis drei Jahre in ein und demselben Heft. Diese Liste ist also ein Weg, den Fortschritt trotzdem sichtbar zu machen.
Ideen für neue Literatur sammeln
Während sich die Schüler*innen an die gelernten Stücke erinnern, werden sie auch schnell sagen können welche Stücke, Komponisten oder Stilistiken ihnen am besten gefallen haben. Vielleicht möchten sie mehr von einer bestimmten Richtung spielen? Oder welchen anderen Stil möchte sie einmal ausprobieren? Wahrscheinlich fallen dir bestimmte Hefte oder Komponisten ein, die du vorstellen könntest.
Hier sehe ich ganz viel Potential den Unterricht individueller gestalten zu können. In diesem kleinen Gespräch erfährst du wie deine Schüler*innen – mit etwas Abstand – ihre Stücke finden. Vielleicht lässt sich hier eine Ursache für mäßiges Üben finden. Oder anders herum: Du weißt jetzt was sie zum intensiveren Üben beflügeln könnte.
Dieses Gespräch zeigt außerdem, dass du ihr Lernpartner bist und dich wirklich für sie interessierst. Es geht schließlich um ihre musikalische Reise.
Stücke, die deinen Schüler*innen gefallen, sind ausschlaggebend für Motivation und gutes Üben.
Betrachtung der Unterrichtssituation
Bitte bekomme keinen Schreck , wenn einige deiner Schüler*innen sehr wenige Stücke im Halbjahr gelernt haben!
Genau daran siehst du, wie wenig Stücke Fortgeschrittene eigentlich noch in einem Jahr spielen. Deshalb ist es so wichtig, dass ihnen die Stücke gefallen – sonst dümpeln sie ewig daran herum und verlieren viel Schwung. Und unsere Schüler*innen in der Pubertät haben noch viele andere Interessen und Pflichten…
Um das ganz klar zu stellen: Es heißt nicht, das sie ALLE Stücke toll finden müssen oder selber aussuchen. Ich versuche ja immer, dass eines ihrer Stücke etwas Klassisches ist. Im Idealfall gefällt es ihnen, doch wenn sie es nur ok finden, reicht das auch mal. Doch zwei von drei Stücken sollten sie schon cool finden…
Diese Liste ist eine tolle Gesprächsgrundlage zwischen deinen Schüler*innen und dir. Ihr reflektiert, tauscht euch aus und sammelt nächste Schritte.
Wie viele Stücke sie pro Halbjahr schaffen sollten? Das finde ich schwer zu sagen. Das ist sehr individuell und es soll nicht nur um Quantität gehen. Doch wenn dein Schüler*innen im Halbjahr nur ein oder sogar gar kein Stück abgeschlossen hat, dann ist es Zeit für etwas Ursachenforschung und um Änderungen zu überlegen. Dazu komme ich gleich noch einmal.
Es sind die Unterrichtsstunden deiner Schüler*innen, deshalb sollten sie nicht nur empfangen, sondern sich auch einbringen. Und du berätst sie dabei, du bist der Profi und kennst dich aus.
Ein respektvoller Austausch von Schüler*innen und Lehrer*innen gehört in den fortgeschrittenen Unterricht.
Nachdem ich nun über die Idee und die Wirkung einer solchen Literaturliste gesprochen habe, habe ich noch einige Tipps für die Umsetzung. Damit du aus meinen Fehlern lernen kannst…
Für welche Schüler*innen ist diese Liste geeignet?
Ich nutze die Liste mit meinen fortgeschrittenen Schüler*innen, die in der Pubertät sind, mindestens Level 3 oder 4 (nach Magraths „The Pianists Guide to Standard Teaching Literature“) spielen und länger als 8 Wochen an ihren Stücke arbeiten.
Wenn du den Artikel liest, hast du vielleicht schon Ideen für welche deiner Schüler*innen diese Liste geeignet ist.
Wann werden die gelernten Stücke aufgelistet?
Theoretisch kannst du jedes gelernte Stücke auf diese Liste setzten, sobald es abgeschlossen ist. Sinnvoller finde ich aber eine Art Reflexion, die zweimal im Jahr, im Januar zum Halbjahresende und vor den Sommerferien stattfindet. Quasi dann, wenn es Zeugnisse gibt.
Die Liste der gelernten Stücke wird mit den Schüler*innen zusammen in der Stunde notiert. Ich blättere die Übelisten durch und suche die Stücke, meine Schüler*innen schreiben sie auf.
Falls ihr kein Hausaufgabenheft oder ähnliches nutzt, blättert durch die aktuellen Notenhefte und schaut nach den Stücken, die abgeschlossen wurden. Im Idealfall hast du die Stücke mit Datum versehen.
Wenn du eine Kopie für deine Unterlagen möchtest, kannst du einfach eine PDF-Scanner-App an deinem Handy nutzen und die Liste abfotografieren. Zu Hause kannst du sie dir dann ausdrucken.
Ursachen und Lösungsvorschläge für langsame Lerner
Wenn du nun siehst, dass einige deiner Schüler*innen sehr wenig Stücke gelernt haben, kannst du hier auf Ursachenforschung gehen. Abgesehen von persönlichen Gründen oder generellen Lernschwierigkeiten könnte es an folgenden Ursachen liegen:
- Das Üben: Vielleicht übt dein*e Schüler*innen gerade wirklich wenig – sprich das an und frage, wie du sie oder ihn unterstützen kannst. Was könnte sie oder er ändern? Kannst du mit neuen Übestrategien helfen? Es geht um neue Gewohnheiten und Erwartungen.
- Zu schwere Stücke: Das kann die Schüler*innen so richtig ausbremsen. Vielleicht kanntest du die letzten Stücke nicht gut genug und du hast den Schwierigkeitsgrad anders eingeschätzt. Oder der oder die Schüler*in entwickelt sich langsamer als gedacht. Nicht alle Stücke, die gespielt werden, müssen das gleiche Schwierigkeitsniveau haben. Vielleicht fällt dir ein schönes Heft mit leichteren Stücken ein, so dass es schnelle Lernerfolge gibt. Das schenkt neue Erfahrungen und Motivation, auch für die schweren Sachen.
- Unsicheres Notenlesen: Liegt es vielleicht am Notenlesen, dass sie oder er sehr viel Zeit für die Stücke braucht? Wenn sie länger an Stücken üben, sehen sie seltener unbekannte Noten. Dies führt dazu, dass das Notenlesen immer schwächer wird. Auch dann würde ich leichtere Stücke vorschlagen, die Freude machen. Eventuell auch ein Lesetraining. Ihr könnt die Ankertöne besprechen oder wiederholen, die Karten der One Minute Challenge einsetzten oder intervallisches Lesen üben. Je nachdem ob es Schwächen beim absoluten oder relativen Lesen gibt. Überlegt zusammen eine Lösung.

Ein Fallbeispiel
Eine meiner langjährigen Schülerinnen hat nur ein einziges Stück im ersten Halbjahr abgeschlossen. Und alle drei Ursachen treffen zu. Sie übt wenig und guckt kaum in die Übeliste. Ihre Stücke sind alle auf einem Level, ihre Wunschstücke zwischendurch waren außerdem viel zu lang. Sie hat sich da immer toll durchgearbeitet, doch einfach sehr viel Schwung verloren. Und sie ist eine von zwei Schülerinnen, welche die beiden letzten One Minute Challenges nicht geschafft haben. Sie hat zu spät den Dreh gefunden regelmäßig mit den Notenkärtchen zu üben.
Unglaublich, wenn ich das so in der Zusammenfassung sehe. Vieles war mir irgendwie bewusst, doch jetzt in der Summe wird es richtig deutlich.
Wir haben auch schon kurz darüber gesprochen: Zum Üben sagte sie selbst, dass sie da mehr machen könnte. Da werden wir uns noch etwas überlegen. Und ich habe ihr ein Heft mit leichteren Stücken vorgeschlagen.
Oh ja! Auch bei mir üben nicht alle Schüler*innen perfekt, nur weil ich eine Übeliste schreibe. Oder sind sichere Notenleser, weil ich die One Minute Challenge organisiere. „Ausreißer“ gibt es auch bei mir. Ich hoffe das beruhigt dich…
Lade dir jetzt kostenlos die Literaturliste für deine Schüler*innen herunter. Mit einem Klick auf das Bild unten öffnet sich der Download. Ich habe die Literaturliste in zwei Farben gestaltet, so dass es etwas Auswahl gibt.
16.01.2025: Inzwischen gibt es ein weiteres Design der Literaturliste. Du findest sie hier.

Wie läuft es mit deinen fortgeschrittenen Schülern*innen? Schreibe dies gern in die Kommentare.
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Ich schreibe noch immer für fast alle Schüler solche Listen, die es dann einmal im Jahr ausgeteilt gibt. Mit einem etwas anderen Hintergrund, weshalb es evtl. auch bei den Anfängern Sinn macht (bei denen, die noch kaum mit Noten unterewegs sind, mache ich es aber auch nicht). Ich habe das im Rahmen der 40 Stück Challenges begonnen und es werden auch selbstgelernte Stücke eingetragen. Das soll auch motivieren, mehr selbst zu erarbeiten. Bei manchen Schülern funktioniert das – im Normalfall natürlich oft die, die auch mit Noten fitter sind. Wobei ich auch immer mal wieder Schüler habe, die sich einen Lieblingssong über Youtube Tutorials aneignen.
Super finde ich deine Idee mit der gemeinsamen Reflektion über die Liste. Das sollte ich auch einführen, um noch etwas mehr Nutzen aus der Sache zu ziehen und es ist auch gut das Aufschreiben in die Unterrichtszeit hinein zu nehmen. Ich mache das zur Zeit noch als Teil einer kurzen Nachbereitung, aber sobald ich eien funktionsfähigen mobilen Rechner habe, könnte ich das auch in meine digitalen 40 Stück-Challenge-Vorlagen gemeinsam mit dem Schüler eintragen. Interessanter Artikel! Vielen Dank Carina!
Liebe Nathalie,
es kann sein, dass mich damals die 40 Pieces Challenge von Elissa Milne auf diese Liste gebracht hat. Genau weiß ich es nicht mehr.
Spannend, dass du diese Listen auch nutzt! Und super Idee mit den selbst gelernten Stücken.
Herzlichen Dank für deinen Kommentar!
Carina