Überfordert durch ein zu schweres Stück – was du tun kannst

Ist es dir schon einmal passiert, dass du einen Schüler durch ein viel zu schweres Stück überfordert hast? Das du plötzlich in der Stunde gemerkt hast, dass er oder sie den Herausforderungen noch gar nicht gewachsen war?

Ich habe das schon mehrfach erlebt. Das war jedes Mal ein Schock und mir richtig unangenehm.

Doch es passiert, denn wir lernen vieles im Unterricht erst durch Erfahrungen. Wir können nicht immer alle Hürden in neuen Stücken sehen, weil wir ihnen vielleicht noch gar nicht begegnet sind. Deshalb sind du und ich noch lange nicht schlechte Klavierlehrer.

Lange Zeit war ich vorsichtig und blieb lieber bei bekanntem Unterrichtsstoff. Ich schaute zwar mal nach neuen Stücken, doch nur wenige schafften es dann wirklich in den Unterricht. Mir ist wichtig, dass ich keinen Schüler überfordere oder demotiviere, deshalb gehe ich dann lieber auf Nummer sicher.

Inzwischen habe ich einiges an Erfahrung gesammelt, aber auch einen guten Weg gefunden, wie ich mein Repertoire erweitern kann. Ich analysiere die Stücke, finde so die Herausforderungen und kann ihren Schwierigkeitsgrad recht sicher bestimmen.

Doch gehen wir zurück in diese unangenehme Situation, dass einer deiner Schüler und Schülerinnen ein zu schweres Stück vor sich stehen hat und überfordert ist. In diesem Artikel findest du drei Wege, wie du dies entschärfen kannst.

Literaturempfehlungen für den Klavierunterricht

Warum sich ein Schüler überfordert fühlt

In der Regel sind es zu viele Neuheiten, die einen Schüler oder eine Schülerin überfordern. Das können neue Töne in unbekannten Lagen, komplizierte Rhythmen, neue Spielbewegungen oder Griffe sein. Vielleicht ist es auch die Länge des Stückes. Oder eine Kombination von mehreren Neuheiten.

Zu Beginn meiner Unterrichtstätigkeit waren es Stücke, ich vorher noch nie unterrichtet hatte und einfach falsch eingeschätzt hatte. Ich habe sie durchgespielt, sie gefielen mir und dachte, dass sie gut zum Schüler oder zur Schülerin passen würden und so habe ich sie dann aufgegeben.

Ich konnte zu dem Zeitpunkt weder die Stücke, noch die Fähigkeiten meiner Schüler richtig einordnen.

Doch ebenso kann es passieren, dass sich Schüler ein mir unbekanntes Popstück wünschen. Anhand der Vorschau lassen sich nicht alle Eigenschaften des Stückes herausfinden. Oft sieht man nur den Anfang, also den ruhigsten Teil des Stückes. Was später alles im Refrain oder am Schluss passiert, bleibt hingegen verborgen.

Auch werden diese Stücke in der Regel ausnotiert, dass heißt es gibt keine Wiederholungen, sondern jede Strophe hat aufgrund des anderen Textes kleine Änderungen und wird deshalb abgedruckt. Und plötzlich hat der Schüler oder die Schülerin fünf bis neun Seiten in der Hand. Uff! Allein das ist schon Überforderung, wenn man bisher nur zwei oder maximal drei Seiten gespielt hat.

Über den Umgang mit Schülerwünschen habe ich bereits einen anderen Artikel veröffentlicht.

Anzeichen von Überforderung

Es gibt Schüler und Schülerinnen, die dies nach ein paar Stunden selbst erkennen und sich auch trauen uns gegenüber zu sagen. Ich meine jetzt nicht die Schüler, die bei einem neuen Stück sofort theatralisch aufstöhnen…

Vielleicht sagen sie aber auch, dass ihnen die Komposition jetzt doch nicht gefällt.

Andere zweifeln vielleicht eher an sich als am Stück und versuchen durch zu kommen.

Oder sie ignorieren das Stück beim Üben .

Meistens habe ich allerdings beim Vorstellen oder in den ersten Stunden gespürt, dass dieses Stück für den Schüler oder die Schülerin zu schwer ist. Das waren dann die am Anfang erwähnten Schockmomente.

Ein Schüler oder eine Schülerin könnte überfordert sein, wenn

  • er oder sie es äußert,
  • er oder sie das Stück doch nicht mehr so toll findet,
  • das Stück nach Wochen immer noch keine richtigen Fortschritte macht,
  • das Stück beim Üben ignoriert wird,
  • du es spürst oder siehst,
  • das Stück neu in deinem Unterrichtsrepertoire ist und du es noch nicht ganz einschätzen kannst.

Maßnahmen bei einem überforderten Schüler

Wie kannst du nun diese Situation retten?

Ich sehe drei Möglichkeiten: Verkürzen, Vereinfachen oder Abbruch. Was genau am besten passt, hängt dann vom Stück ab.

Theoretisch gibt es noch einen vierten Weg – durchziehen. Natürlich könnt ihr das Stück monatelang üben, doch davon würde ich abraten, da ihr euch früher oder später frustriert fühlen werdet.

  1. Verkürzen: Vielleicht ist ja nur ein Teil kritisch, dann lass den einfach weg. Du kannst eventuell sagen, dass ihr das Stück dann pausieren lasst und es später wieder aufnehmen könnt. Falls es ein Wunschstück des Schülers oder der Schülerin ist, frage nach dem Lieblingsteil und dann macht ihr nur den. Je älter der oder die Schüler*in ist, desto mehr bin ich für Offenheit. Also ein achtjähriges Kind ist mit deinen Erklärungen warum das Stück zu schwer ist noch überfordert. Ein zwölfjähriger Schüler kann es aber nachvollziehen und erfährt, dass auch Lehrer Fehler machen – und das auch sagen können. Das ist eine besonders wertvolle Lernerfahrung – und viel wichtiger als ein Stück durchzuziehen.
  2. Vereinfachen: Wenn du siehst was genau zu schwer ist, kannst du diese Stelle vereinfachen. Töne streichen, damit die Griffe angenehmer werden. Oder die Begleitung oder den Rhythmus ändern. Vielleicht fällt dir auch eine Vorübung ein, die diese schwere Stelle entschärft oder du findest eine leichtere Bearbeitung vom Stück.
  3. Abbruch: Ja, es gibt auch die Möglichkeit einfach so etwas zu sagen wie: „Weißt du was, ich glaub ich habe mich vertan. Das Stück ist toll, aber irgendwie gerade nicht das Richtige für dich. Ich habe da irgendwie falsch gedacht. Lass uns lieber dieses hier spielen.“ Und dann ist gut. Schüler haben damit überhaupt keine Probleme.

Für die Zukunft

Es kann passieren, dass wir als Lehrer ein fremdes Stück über- aber auch unterschätzen. Wir lernen mit jedem Stück und mit jeder Unterrichtsstunde dazu. Durch die wachsende Erfahrung werden wir dann immer sicherer.

Wenn ich heute ein für mich unbekanntes Stück unterrichten möchte, dann analysiere ich das Stück vorher genau oder teste es mit einem guten Schüler. Oder beides! Nach der ersten Runde Unterrichten kenne ich das Stück dann wirklich.

Wenn du genau wissen möchtest, wie ich strukturiert und möglichst zeitsparend neue Stücke auswähle, dann könnte die kommende Aktion „Deine Regalschätze“ für dich richtig sein. Eine Woche lang beschäftigen wir uns mit deinem Notenfundus, aus dem wir unbekannte Stücke herausfiltern. Wir sortieren und analysieren und bereiten sie dann für die erste Unterrichtsstunde vor.

Du kannst mir jederzeit Fragen stellen und erhältst eine Analyse-Checkliste sowie eine Tabelle, die dir beim Bestimmen des Schwierigkeitsgrades hilft.

Falls du also Lust auf neue Unterrichtsstücke hast, würde ich mich sehr freuen, wenn du dabei bist.

Was machst du, wenn du erkennst, dass dein*e Schüler*in ein zu schweres Stück spielt?

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