Transferschüler sind echte Wundertüten

Ein Schüler oder eine Schülerin, der*die bereits Unterricht hatte, möchte zu dir. Super! Endlich mal jemand, der schon spielen kann! Mit dem du nicht bei Adam und Eva beginnen musst. Das kann eine schöne Abwechslung sein, doch ein*e Transferschüler*in bringt aber auch einige Herausforderungen und Gefahren mit sich. Welche dies sind und wie du diesen Unterricht gestalten kannst, erfährst du in diesem Artikel.

Warum sind Transferschüler Wundertüten?

Ich habe schon eine Menge Transferschüler unterrichtet und ich finde wirklich, dass sie echte Wundertüten sind. Du weißt einfach nicht was in ihnen steckt, wenn du sie annimmst. Welche Stärken, Schwächen und Marotten sie haben. Wie sie mit dem Lehrerwechsel klarkommen werden. Oft erfährst du auch nicht, warum es überhaupt zum Wechsel gekommen ist.

Eines ist aber sicher – der oder die Transferschüler*in will Klavier spielen. Oder dem Hobby zumindest eine weitere Chance geben. Ansonsten hätte man den Unterricht ganz aufgegeben und keinen neuen Lehrer gesucht!

Ebenfalls gewiss ist, dass es viel Zeit und Geduld brauchen wird, bis das er oder sie bei dir im Unterricht angekommen ist. Und dass es Gefahren für dich gibt, dich zu verausgaben und zu verzetteln.

Wir beginnen am besten ganz vorne…

Die Probestunde mit Transferschülern

In der Probestunde geht es immer um das gegenseitige Kennenlernen, doch in dieser Situation auch um ein erstes Einschätzen des neuen Schülers oder der neuen Schülerin. Bitte darum, dass die alten Notenhefte mitgebracht werden. Du wirfst wahrscheinlich nur einen kurzen Blick hinein, doch dies gibt dir schon ein paar Informationen zum bisherigen Unterricht. Falls du die Methode oder die Hefte kennst, hast du noch mehr Anhaltspunkte zu den Fähigkeiten gesammelt.

Zu einem ersten Eindruck gehört natürlich auch, dass der*die neue Schüler*in etwas vorspielt. Vor einer fremden Person kann das ganz schön komisch und schwierig sein, daher frage ich gern zuerst nach dem Lieblingsstück. Dies kann das Eis brechen, da sich der*die Schülerin damit wohlfühlt und es wahrscheinlich schon einmal oder mehrmals vorgespielt hat. Du bekommst dadurch eventuell auch eine Idee welche Stücke ihm*ihr gefallen.

Literaturempfehlungen für den Klavierunterricht

Bedanke dich für das Vorspiel und frage erst dann nach dem aktuellen Stück. Er oder sie soll es dir einfach so vorspielen wie es gerade ist. Hier kann es erste Hinweise dazu geben, wie der*die Schüler*in gewohnt ist ein neues Stück zu erarbeiten.

Je nach Situation hole ich auch gern meine Noten dazu und schaue mir an, wie gut der*die Schüler*in mit einem fremden Stück zurechtkommt. Das könnte zum Beispiel etwas aus einer meiner Methoden oder bei Fortgeschrittenen ein klassisches oder romantisches Stück aus Masterwork Classics sein. Ich beobachte, wie der Schüler neue Noten liest und auf Rhythmus und Fingersätze achtet. Teilweise unterrichte ich dann auch sofort ein bisschen. So bekommt er oder sie aber auch das begleitende Elternteil sofort einen Eindruck über meinen Unterrichtsstil.

Ich habe eine kleine Checkliste für die Probestunde. Wie er oder sie gespielt hat, notiere ich mir darauf eher nach der Stunde, doch weiter unten habe ich einige Fragen, die ich während der Probestunde durchgehe und notiere. Fragen nach dem Üben, ob schon mit Pedal gespielt wurde, ob er*sie bereits vorgespielt hat oder das Üben mit Metronom kennt. Die Checkliste kannst du dir kostenlos herunterladen.

Gemeinsamer Start

Versuche das mit dem*der alten Lehrer*in angefangene Stück so schnell wie möglich abzuschließen. Du weißt nicht genau wie und was daran gearbeitet wurde und es ist müßig festgesetzte Fehler zu korrigieren. Der oder die Vorgänger*in ist weiterhin präsent und dies kann eure ersten Stunden beeinflussen.

Suche ein bis zwei neue Stücke heraus, die vielleicht sogar etwas leichter als das alte Stück sind. Immer wieder erlebe ich, dass Transferschüler mit zu schweren Stücken kommen und vermute, dass dann die Überforderung auch ein Grund für den Lehrerwechsel ist. Ich versuche Stücke zu wählen, die irgendwas Interessantes, vielleicht auch etwas Neues beinhalten, doch unbemerkt etwas leichter sind.

Diese neuen Stücke könnt ihr nun von Anfang an zusammen erarbeiten und schaffen eine erste gemeinsame Ebene. Zeige dem*der neuen Schüler*in wie du dabei vorgehst und was dir wichtig ist. Zwischendurch kannst du fragen ob er*sie das auch so gewohnt ist oder wie bisher ein neues Stück erarbeitet wurde.

Ich empfehle dabei ganz behutsam vorzugehen, nicht dass der*die Schüler*in den Eindruck bekommt er*sie hätte „falsch“ gelernt. Ich bewerte nicht, sage dann nur „so mache ich es, probiere es doch einmal aus“. Auch achte ich darauf meine*n Vorgänger*in nicht zu kritisieren. Das ist nicht immer einfach, das gebe ich zu. Mein Mann hat schon oft meinen Frust anhören müssen, wie fachlich inkorrekt doch einige Kollegen unterrichten. Doch ich habe inzwischen den Eindruck gewonnen, dass dies aus Sorge um den Schüler und aus dem Bemühen heraus Dinge leichter zu machen geschieht. Das macht es mir inzwischen leichter.

Verbindung schaffen

Die Grundlage für eine schöne Unterrichtszeit ist Vertrauen. Mit Anfängern ist dies recht leicht zu erreichen, doch Transferschüler haben diese Verbundenheit mit einem anderen Lehrer oder Lehrerin aufgebaut. Sie brauchen etwas Zeit, um sich zu lösen und neu einzulassen.

Ich versuche von Anfang an zu zeigen, dass ich Verständnis für ihre Situation habe und geduldig bin. Und das ich mich für sie interessiere. Immer wieder stelle ich deshalb auch Fragen zu anderen Hobbies oder welches das Lieblingsfach ist. Ob es Geschwister oder Haustiere gibt. Ich erzähle auch eventuell etwas von mir oder meiner Familie. Oft finde ich mit diesem Wissen gute Vergleiche für meine Erklärungen.

Ich gehe immer locker und oft auch humorvoll mit Fehlern oder Wissenslücken um, doch bei Transferschülern achte ich besonders darauf. Ich weiß, dass auch ein guter Lehrer nicht alle Lernfelder abdecken kann, wir alle haben Schwerpunkte. Meine Transferschüler sollen merken, dass sie mich als Lernpartner an ihrer Seite haben, ich Dinge erkläre und sie bei Hürden unterstütze. Und dass sie mit mir eine schöne Zeit im Unterricht haben.

Ganz viel Geduld

Das Umlernen von Gewohnheiten sowie Lücken aufspüren und füllen sind die großen Themen im Unterricht mit Transferschülern. Dazu der Aufbau von Vertrauen. Das alles braucht sehr viel Zeit. Rechne mit einem ganzen Jahr. Die ersten Fortschritte wirst du aber schon nach 6-8 Monaten sehen.

Der*die Schüler*in ist kein unbeschriebenes Blatt mehr und umlernen, verlernen oder auch neu lernen, wenn schon Fähigkeiten da sind, ist anstrengend. Für Schüler, aber auch Lehrer. Hab ganz viel Geduld und Verständnis für diesen Prozess.

Die ersten Stücke brauchen oft besonders viel Zeit, da hier schon neue Gewohnheiten eingeführt und Schwächen ausgebügelt werden. Und der Aufbau eines neuen Vokabulars beginnt, denn wir alle haben individuelle Formulierungen, die wir gerne im Unterricht verwenden.

Ihr findet euch gerade. Sei dir dessen bewusst und bleibe geduldig. Und sage auch dem*der Schüler*in und den Eltern, dass die ersten Stücke etwas länger dauern und das Umgewöhnen ein ganzes Jahr dauern kann. Versuche sie für die Umlernsituation zu sensibilisieren. Sie wissen nicht, dass Klavierunterricht nicht gleich Klavierunterricht ist.

Prioritäten im Unterricht setzten

In den ersten gemeinsamen Unterrichtsmonaten geht es neben der Verbindung vor allem um das Aufspüren von Lücken, Stärken und Schwächen. Und das Entwickeln einer ersten Unterrichtsplanung.

Manchmal kommen Transferschüler gut ausgebildet und es kann fast nahtlos weitergehen. In der Regel wirst du aber einige Baustellen entdecken und es besteht die Gefahr, dass du dich verzettelst und langfristig verausgabst.

Frage dich:

  • Was stört mich gerade am meisten, wenn er*sie dieses Stück spielt?
  • Welche Fähigkeit oder welches Wissen würde ihm*ihr genau jetzt am besten helfen?

Und genau darum kümmerst du dich dann und siehst erstmal über andere Fehler hinweg. Beim nächsten Stück kannst du deinen Fokus neu setzten.

Einige grundlegende Dinge lassen sich auch gemeinsam korrigieren. Wichtig ist, dass sie in unterschiedliche Situationen angesprochen und geübt werden und nicht alles an einem einzigen Stück. Das überfordert und frustriert, da kein Ende in Sicht ist.

  • Ein schwaches Notenlesen kannst du mit Notenkärtchen oder den Ankertönen separat von den Stücken und gern zu Beginn der Stunde üben.
  • Für das Rhythmusgefühl und das laute Zählen (ja, auch bei mir immer seeehr beliebt, aber ich bestehe darauf…) könnt ihr die Rhythmen der Stücke vor dem Spielen klopfen.
  • Die Sitzhaltung beginne ich bereits in der Probestunde zu korrigieren falls nötig. Darauf mache ich dann vor jedem Spielen aufmerksam.
  • Und das Üben sollte beim Spielen des Stückes geübt und beim Notieren der Hausaufgaben nochmals besprochen werden. Meine Schüler erhalten von mir immer eine Übe-Liste.

Das Arbeiten an musikalischen Feinheiten und der Interpretation würde ich etwas zurückstellen, wenn diese Grundlagen noch nicht sicher sind. Und wenn du unbedingt etwas mehr Musik noch hineinbringen möchtest, würde ich es mit einer Improvisation versuchen.

Das Setzten von Prioritäten hilft nicht nur deinem Schüler – es schützt auch dich davor, zu viel Energie zu investieren. Die muss ja für alle Schüler deines Unterrichtstages reichen. Und all das Beobachten, Analysieren, Abwägen, Korrigieren, Erklären und Motivieren kosten ordentlich Kraft.

Milde Strenge und Hartnäckigkeit

Ich bin auch mit Transferschülern strenger als ich es sonst bin. Dann nerve ich auch ganz bewusst, um das Umlernen von ihren Gewohnheiten zu unterstützen.

Zum Beispiel würde ich einer neuen Schülerin, die zuletzt kaum geübt hat, ganz klar sagen, dass sie mindestens viermal pro Woche üben muss, damit sie Fortschritte machen und Spaß haben kann. Und dann bestehe ich auch darauf, frage nach warum es ihrer Meinung nicht geklappt hat, gebe weitere Tipps und lobe, wenn sie es geschafft hat und vorwärtskommt.

Oder ich möchte die Fingerhaltung eines Schülers korrigieren. Ich erkläre warum mir das wichtig ist und dann üben wir das. Gern an einer Fingerübung. Doch beginnt er sein Stück ohne seine Finger in eine gute Haltung gebracht zu haben, unterbreche ich ihn im ersten Takt. So lange, bis das er anfängt auf seine Haltung achtet.

Und wenn der*die Schüler*in bisher nicht auf Fingersätze achten musste – oder die Bemerkungen des Lehrers oder der Lehrerin immer erfolgreich ignoriert hat – unterbreche ich und stelle klar, dass dies für mich ein Fehler ist. Ich möchte einen richtigen Ton, die richtige Tonlänge und den richtigen Fingersatz! Und wenn er oder sie nach einer Erklärung des Fingersatzes und des Übens der Stelle weiterhin den falschen Finger einsetzt, unterbreche ich. Sofort. Und so lange, bis das er oder sie darauf achtet.

Die Kunst ist den Punkt zu sehen, an dem es beginnt den Schüler zu nerven oder zu frustrieren. Dann fahre ich sofort einen Gang zurück.

Wie schon gesagt, mit dieser Strenge möchte ich ihnen vor allem helfen, möglichst schnell neue Gewohnheiten aufzubauen. Es bringt ihnen nichts, wenn ich sie in Watte packe, auf Kumpel mache oder versuche wie der*die alte, vertraute Lehrer*in zu sein. Der neue Unterricht kann nicht wie der alte sein, dass sollten sie schnell merken. Und sich dann entscheiden, ob sie den Weg mit mir gehen wollen oder eben nicht.

Erklärungen gut dosieren und einsetzten

Hältst du auch so gern fachliche Monologe wie ich? Ich erwische mich leider immer noch dabei, wie ich im Unterricht kleine Vorträge halte. Und da bei Transferschülern oft Grundlagen fehlen, kann es besonders schnell zu solchen Vortragsmomenten kommen. Wenn es um wichtige Fähigkeiten am Klavier geht, kann ich leidenschaftlich werden. Und rede und rede… Während der Schüler bereits abgeschaltet hat und die Tasten mit dem Finger abstaubt.

Falls es dir auch so geht: Versuche deine Erklärungen kurz zu halten und maximal einen Vortrag im Laufe einer Stunde zu halten. Schalte um, wenn dein Schüler abschaltet. Tatsächlich kann man auch ohne viel Worte etwas kurz und knapp korrigieren.

Und ganz wichtig ist, dass deine*n Schüler*in diese Erklärungen dann auch selbst fühlen oder hören kann. Runde deinen informativen Ausbruch mit einer Wahrnehmungsübung ab. Lass sie oder ihn testen, wie unterschiedlich dieses Detail richtig oder falsch ausgeführt klingt oder sich anfühlt. Daraus können sie mehr lernen als durch das Zuhören.

Fortschritte loben und immer ermutigen

Das ein Lehrerwechsel eine komische Situation für Schüler ist, sollte inzwischen deutlich sein. Vielleicht haben sie sogar das Gefühl noch einmal von fast ganz vorne anzufangen oder sind total aus der Bahn geworfen.

Auch wenn ich streng bin, finde ich es genauso wichtig sie zu ermutigen und positive Rückmeldungen zu geben, sobald sie Fortschritte machen. Manchmal auch, wenn ich etwas wachsen sehe, was sie noch nicht selbst wahrnehmen können.

Egal wie klein oder was sonst noch wackelig oder technisch falsch ist – er oder sie hat diese eine Sache verstanden und umgesetzt. Das Lob festigt eure Verbindung und gibt ihr oder ihm neuen Mut und neue Motivation zum Weitermachen.

Zusammenfassung der Tipps

Ich möchte meine Tipps gern noch einmal zusammenfassen, damit du einen besseren Überblick hast:

  1. Beginnt das Vorspielen in der Probestunde mit dem Lieblingsstück, lasse sie*in etwas vom Blatt spielen und stelle ein paar Fragen zu den bisherigen Erfahrungen (siehe Checkliste).
  2. Schließe die alten Stücke möglichst schnell ab und beginne etwas Neues, dass motivierend und gern auch etwas leichter ist.
  3. Kritisiere den*die Vorgänger*in nicht – ein „so mache ich es“ reicht.
  4. Bemühe dich um eine gute Verbindung zum Schüler oder zur Schülerin.
  5. Informiere Schüler*in und Eltern, dass du mit mindestens einem Jahr für das Umgewöhnen und den Übergang rechnest.
  6. Zeige viel Geduld und Verständnis.
  7. Korrigiere jeden Fehler sofort und sei streng, lobe aber auch jeden kleinsten Fortschritt.
  8. Setze Prioritäten, was du bei welchem Stück bearbeiten möchtest.
  9. Achte auf dein Energiemanagement, denn Transferschüler benötigen sehr viel Kraft.
  10. Dosiere deine Erklärungen gut und lasse alles ausprobieren.
Unterrichtsliteratur für den Klavierunterricht

Fazit Transferschüler

Es ist bestimmt deutlich geworden, warum ich für Transferschüler das Bild der Wundertüte gewählt habe. Und welche Umstände diesen Unterricht kompliziert machen. Es gab eine Zeit, da wollte ich generell keine Transferschüler mehr aufnehmen. Weil ich müde und frustriert war. Doch ich durfte auch immer wieder erleben wie neue Freude, Motivation und tolle Entwicklungen entstanden. Mein persönliches Fazit daraus ist, dass ich versuche, nicht zu viele „Fälle“ auf einmal anzunehmen.

Welche Erfahrungen hast du mit Transferschülern gemacht? Hast du vielleicht einen ergänzenden Tipp als Kommentar?

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