Gutes Körpergefühl am Klavier – mit dieser einfachen Übung

Verspannte Schultern, verkrampfte Finger, abgeknickte Handgelenke und ein zusammengesackter Rücken. So kann man richtig gut Klavier spielen…

Als Kollege hast du meine Ironie natürlich erkannt. Wir haben wohl schon tausend Male erklärt, wie man richtig sitzt und sich am Klavier bewegt. Wichtig ist allerdings, dass unsere Schüler ein eigenes Körpergefühl entwickeln, damit sie nicht nur verstehen und sehen – sondern es auch selbst fühlen.

Das Bewusstsein für den eigenen Körper ist bei jedem sehr unterschiedlich ausgeprägt. Damit die Schüler die für das Klavier relevanten Körperteile wahrnehmen können, nutze ich die folgende Übung für das Körpergefühl. Sie hilft enorm die einzelnen Körperteile isoliert bewegen zu können und schafft eine Grundlage für spätere Spielbewegungen.

Bevor ich die Übung beschreibe, möchte ich kurz auf einen sehr wichtigen Punkt eingehen.

Die Grundlage für freie Spielbewegungen: Eine optimale Sitzhaltung

Jede Stunde beginnt für mich mit der Kontrolle der Sitzhöhe und der Entfernung zwischen Klavier und Sitzbank. Jüngere Schüler nutzen außerdem einen oder mehrere (stapelbare) Fußhocker, damit beide Füße darauf ruhen können und für eine stabile Sitzhaltung sorgen.

Meine neuen Schüler leite ich schon in der Probestunde zu einer optimalen Sitzhaltung an. Damit meine ich einen aufrechten Sitz mit lockeren Schultern und einem geraden Kopf. Es werden bestimmt einige Erinnerungen und Korrekturen nötig sein, doch dieser Zeitaufwand ist es wert, denn die richtige Sitzhaltung ist die Basis für gutes Klavierspielen.

Nachdem du die Sitzposition und die Haltung eingeführt hast, kannst du in der folgenden Stunde mit der Schulung des Körperbewusstseins beginnen.

Übung für ein gutes Körpergefühl:

 1. Arme fliegen lassen: Im aufrechten Stand drehen dein Schüler und du eure Oberkörper von der einen zur anderen Seite. Die Arme fliegen dabei durch die Luft, sie fühlen sich locker an und ihr spürt das Gewicht der Arme.

2. Arme fallen lassen: Hebt eure Arme über den Kopf oder auf Schulterhöhe und lasst sie dann fallen.

3. Schultern bewegen: Die Schultern bis zu den Ohren ziehen, festhalten und loslassen. Auf den Atem aufmerksam machen, denn als normalen Reflex halten wir die Luft in der Anspannung an. Anschließend die Schultern kreisen lassen und darauf achten, dass der Atem weiter fließt.

4. Sitzhaltung (Dreipunktsitz): Anschließend setzt sich dein Schüler an das Klavier und sucht die richtige Haltung. Er stellt seine Füße fest auf den Hocker oder Boden, er richtet seinen Rücken auf und hält seinen Kopf gerade. Die Arme hängen locker nach unten.

5. Schulterbewegungen wiederholen: Zuerst hochziehen und fallen lassen, dann noch einmal kreisen.

6. Ellenbogen bewegen: Die Ellenbogen bewegen sich nun mehrmals vom Körper weg und wieder zurück. Achtet darauf, dass sich die Schultern nicht mitbewegen, sondern entspannt und ruhig bleiben. Falls dies deinem Schüler schwerfällt, hilf ihm in dem du deine Hand leicht auf seine Schulter legst. Dann die Finger leicht gerundet auf die Tasten legen und die Bewegung wiederholen.

7. Handgelenke heben und senken: Die Handgelenke ganz locker heben (Fingerspitzen bleiben in Kontakt mit den Tasten) und senken. Darauf achten, dass der Schüler die Handballen beim Senken nicht gegen das Klavier drückt. Alles bleibt locker. Mache deinen Schüler auf überflüssige Bewegungen von Schultern oder Ellenbogen aufmerksam. Wieder kannst du ihm durch deine Berührungen helfen.

8. Grundhaltung der Handgelenke: Zuletzt zeigst du deinem Schüler die Grundposition des Handgelenks. Viele Anfänger tun sich damit schwer, dies locker, aber eben auch stabil und gerade in der Position zu halten. Die richtige Handhaltung hat weder einen Knick noch einen Buckel am Handgelenk.

Wie geht es weiter?

Mit dieser Übung würde ich die ersten Wochen jede Stunde beginnen und sie im weiteren Unterrichtsverlauf, wenn nötig, wiederholen.

Übrigens ist die Übung auch für uns Lehrer interessant: Das Verhalten und die Bewegungen des neuen Schülers sind sehr aufschlussreich.

Ist er ein Draufgänger oder eher schüchtern?

Macht er zaghafte oder vor Energie strotzende Bewegungen?

Wirkt seine Körperspannung fest oder sehr locker?

Wie entwickelst du das Körpergefühl deiner Schüler? Vielleicht kennst du ja noch eine weitere Übung – teile sie doch bitte mit uns in den Kommentaren.

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4 Kommentare

  1. Danke für den wichtigen Beitrag, liebe Carina. Ja, die Entwicklung Körperwahrnehmung ist sehr wichtig. Ich bin immer wieder erstaunt, wie wenig die Schüler ihren Körper wahrnehmen. Mit meinen Anfängern mache ich daher immer zu Beginn der Stunde ähnliche Übungen wie oben beschrieben. Ich baue diese in kleine Geschichten ein. So stehen wir am Anfang der Stunde wie ein Baum. Die Füße sind die Wurzeln, die Arme die Äste. Der Baum schwankt im Wind (da spürt man gut, ob man fest steht), dann bewegen sich die „Äste“, also die Arme, im Wind. Die Hände und Finger sind die Blätter, da kann man verschiedene Bewegungen mit dem Handgelenk oder/und den Fingern machen. Dann setzt sich der Schüler ans Klavier. Auch hier sind die Füße die Wurzeln und der Oberkörper der Baum, der im Wind schwankt. Dann machen wir verschiedene Spiele mit dem Handgelenk und den Fingern auf dem Klavierdeckel oder auf den Tasten. Tolle Anregungen zur Entwicklung der Körperwahrnehmung findet man in dem Lehrerkommentar zu „Wache Finger, wache Ohren“ von Bettina Schwedhelm, im „Tastenforscher“ von Martina Hussmann und Guido Klaus und in der Klavierschule „Mandarine“ von Irina Kramer und Marina Dethlefsen. Den Tastenforscher verwende ich mit allen meinen Schülern, aus den anderen erwähnten Heften übernehme ich nur die Anregungen. Vor allem „Wache Finger, wache Ohren“ kann ich sehr empfehlen, da wird alles detailliert erklärt. Es gibt auch zwei Schülerbände, die ich jedoch nicht mehr verwende, da die Schüler von den Übungen nicht gerade begeistert waren. Die Tastenforscher-Übungen hingegen kommen sehr gut an.

    Liebe Grüße
    Susanne

    1. Liebe Susanne,

      ganz herzlichen Dank für deinen Kommentar! Was für ein schönes Bild mit dem Baum!

      Ich kenne den Tastenforscher, doch mir ist das Heft einfach visuell zu viel. Wie setzt du es ein? Hast du da eine bestimmte Abfolge, passend zu den Stücken? Oder arbeitet ihr es einfach langsam durch?

      Liebe Grüße zurück
      Carina

      1. Liebe Carina,

        die Abfolge der Übungen aus dem Tastenforscher passe ich den Stücken an, die der Schüler spielt. Bevor ich die Tonleiter einführe, lasse ich zB die Vorübungen aus dem Tastenforscher spielen. Ich mache das aber bei jedem Schüler individuell, je nach dem, wie weit er ist und was für ihr im Moment wichtig wäre. Einige Übungen lasse ich auch weg.

        Liebe Grüße
        Susanne

        1. Ah, das klingt sehr gut, liebe Susanne.

          Ich nutze einige andere Techniksachen, doch ich glaub ich schau mir den Tastenforscher nochmal an… 😉

          Liebe Grüße
          Carina

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