Egal wie viele Probestunden ich in meinem Leben schon gegeben habe – es ist und bleibt ein aufregender Termin. Ich überlege dann, was es wohl für ein Kind und eine Familie sein wird. Ob sie sich für das Klavier (und mich) entscheiden werden und wie dann wohl unser gemeinsamer Weg aussehen wird. Kennst du das?
Jeder Schüler oder Schülerin ist eine neue Reise. Spannend!
Völlig klar hingegen ist das, was inhaltlich in der Probestunde passieren wird. Da ich dies genau weiß, kann ich mich dann ganz auf das Kind konzentrieren.
Aber das war nicht immer so und es kommt auch nicht von allein. Ich habe viel geplant, getestet und reflektiert, so dass ich nun genau weiß, was mir in dieser Situation wichtig ist.
In diesem Artikel erfährst du, welche Ziele die Probestunde hat, was ich für Aktivitäten mache, was ich nicht tue und wie du deine eigene perfekte Probestunde entwickeln kannst. Einiges ist auch auf Erwachsene übertragbar, doch besonders die Aktivitäten, die ich beschreibe, beziehen sich auf Probestunden mit Kindern etwa im Alter zwischen fünf und zehn Jahren.
Bevor du weiterliest, möchte ich kurz erinnern, dass wir alle auf unsere Art tolle Lehrer sind und dass die Welt uns braucht. Ich möchte mit meinen Artikeln Ideen und Gedanken teilen und einen Einblick in meinen Unterricht geben. Ich möchte dich inspirieren. Doch es ist absolut in Ordnung, wenn du andere Aktivitäten in deinem Unterricht oder hier speziell in der Probestunde machst als ich. Wir haben alle unsere Werte und Erfahrungen und es ist ok, wenn dir andere Dinge wichtig sind als mir.
Nimm das, was dir weiterhilft, um eine für dich „perfekte“ Probestunde zu entwerfen.
Mögliche Ziele einer Probestunde am Klavier
Jede Probestunde verfolgt mehrere unterschiedliche Ziele. Achte darauf, dass du möglichst alle unterbringen kannst.
- Kennenlernen und Einschätzen des oder der Schüler*in und einem Elternteil.
- Kennenlernen und Ausprobieren des Klaviers.
- Vorstellung als Lehrerpersönlichkeit, also wie wir sprechen, etwas erklären und was uns generell wichtig ist und ausmacht.
- Erste Einschätzung von unterschiedlichen Fähigkeiten.
- Klärung von organisatorischen Fragen, zum Beispiel des Vertrags und seinen Modalitäten.
Die Probestunde steckt also für alle Beteiligten voller direkter und indirekter Informationen.
So findest du deine perfekte Probestunde
Ich weiß jetzt nicht, wie lang deine erste Probestunde her ist. Ich weiß aber noch sehr gut, dass ich als junge Lehrerin in den Probestunden ganz schön aufgeregt war. Du auch?
Ich wollte alles richtig machen und die Schüler für „mein“ Instrument begeistern. (Und ich wollte auf die Eltern kompetent und seriös wirken. Jawohl!)
Zum Glück hatte ich oft drei bis fünf Probestunden innerhalb kurzer Zeit direkt hintereinander. Immer dann, wenn eine Früherziehungsgruppe in unserer privaten Musikschule abgeschlossen war. So konnte ich üben…
Damit ich die Kinder auseinanderhalten und ich meine Beobachtungen besser behalten konnte, erstellte ich mir eine Art Checkliste. Darauf stand die Abfolge der Aktivitäten und einige Kommentare zum Ankreuzen, wie die Kinder damit zurechtgekommen waren.
Zum Beispiel konnte ich markieren ob und wie weit das Kind Fehler beim Spielen eines einfachen Liedchens gemacht hat und diese bemerkt und sogar korrigiert hat.
Spielen: fehlerfrei - gut - oft falsch
Selbstkorrektur: hört keine Fehler - teilweise - sehr genau
Neben den einzelnen Aktionen notierte ich mir auch meinen Eindruck zu Motivation, Charakter und Konzentrationsfähigkeit.
Vor jeder Probestunde ging ich den Ablauf mit seinen Aktivitäten durch und nahm immer wieder Änderungen vor, bis das ich zufrieden war.
Heute habe ich viel weniger Probestunden, doch diese Checkliste ist geblieben. Außerdem habe ich mehrere Varianten erstellt, so dass ich nun Checklisten für das Vorschulalter, Grundschulkinder, ältere Kinder und Erwachsene habe. Mit Transferschülern, also Schüler, die bereits woanders Unterricht hatten, mache ich die Probestunde etwas anders. Diese Checkliste findest du in „Transferschüler sind echte Wundertüten“.
Diese Checklisten habe ich als Textdatei gespeichert und drucke sie mir für die Probestunde dann aus. Falls ich den Faden verliere, kann ich in der Stunde auf den Ablauf gucken, ansonsten halte ich hinterher meine Beobachtungen fest und versuche den Schüler etwas einzuschätzen.
Falls du noch an deinen Probestunden feilen möchtest, habe ich hier meine Schritte für dich aufgelistet.
- Wenn du noch nichts Schriftliches hast, überlege dir eine Abfolge der Aktivitäten und notiere dir diese.
- Ergänze dies mit einigen Bemerkungen, in denen du die „Leistung“ des Kindes ankreuzen kannst.
- Notiere dir eventuell auch einige Formulierungen oder Stichpunkte wie du die Aktivitäten einführst oder erklärst. (Vorschulkinder lieben kleine Geschichten.)
- Gehe deine Abfolge vor jeder neuen Probestunde durch, verändere oder ergänze sie, bis dass du zufrieden bist, und drucke diese dann für den Termin aus.
- Fülle die Checkliste möglichst schnell nach der Probestunde aus und überlege, ob die Stunde gut gelaufen ist und du einen guten Eindruck von Schüler oder der Schülerin gewinnen konntest. Falls dir etwas auffällt, kannst du dies in deinem Dokument ändern.
Was ich in der ersten Stunde NICHT mache
Ich starte mit dem, was ich NICHT in meinen Probestunden mache.
Ich mache keinen Eignungstest. Ganz selten mal mache ich Aktionen wie Rhythmen nachklatschen oder einfache Dreitonfolgen nachspielen lassen. Es ist mir einfach nicht wichtig, welches Potential oder Talent meine Schüler haben.
Jeder darf kommen, so wie er ist. Ich kümmere mich um Stärken und Entwicklungsfelder, denn das ist mein Beruf.
Wichtig ist mir „nur“, dass die Schüler Interesse am Klavier haben und bereit sind zu üben.
In meiner Probestunde findet auch kein Improvisieren statt. Mir ist wichtig, dass die neuen Schüler erstmal ankommen und sich wohlfühlen. Das Kind sitzt gerade unter Beobachtung neben mir fremder Erwachsenen und da möchte ich den Mut nicht unnötig herausfordern. Und ich möchte auch nicht, dass die Improvisation negativ verknüpft wird. Das Improvisieren ist toll und wichtig, doch lässt sich das auch noch hervorragend in den Folgestunden unterbringen, wenn das erste Eis gebrochen ist.
Sollte ich in der Probestunde merken, dass ein Schüler oder eine Schülerin eher draufgängerisch, kreativ oder sehr offen ist, kann ich immer noch spontan eine kleine Improvisation einfügen.
Und nein, ich lasse auch keine Tonleitern in der Probestunde spielen. Falls du dich jetzt wunderst, ja, davon habe ich schon gehört. Meiner Meinung nach sollten untrainierte Finger noch nicht mit Fingerübersatz oder Daumenuntersatz konfrontiert werden. Dies kann schnell zu Fehlhaltung und schlechten Bewegungsmustern führen.
Und was mache ich nun in meiner Probestunde?
Das passiert in meiner Probestunde
Vor und während der Probestunde steht für mich ganz klar das Kind im Mittelpunkt. Ich versuche möglichst wenig mit dem begleitenden Elternteil zu sprechen, denn dafür ist nach der Stunde ausreichend Zeit. Ich möchte, dass sich das Kind nicht langweilt, sondern das Klavier ausprobieren kann und etwas auftaut.
Falls das Kind schon etwas spielen kann (Hallo Alle meine Entchen, Flohwalzer und Elise!), lasse ich es gern damit beginnen und freue mich ausdrücklich, dass es schon etwas spielen kann.
Ansonsten beginne ich behutsam mit der richtigen Sitzposition. Ich schaue ob oder wie viele (stapelbare) Fußhocker das Kind braucht, stelle die Sitzhöhe ein und erkläre die aufrechte Haltung. Im Artikel Gutes Körpergefühl am Klavier findest du meine Vorgehensweise ausführlich erklärt.
Als zweiten Schritt darf sich das Kind mit der Tastatur befassen. Die schwarzen Zwillinge und Drillinge werden mit Flummis und Pfeifenputzern dekoriert. Anschließend werden diese von den Fingern weggespielt. Diese Aktivität ist ein echter Eisbrecher und ich weite diese Aktivität auf die folgenden Stunden aus. In Gute Orientierung auf der Tastatur beschreibe ich dies genauer und zeige auch, wie du mit dem Dekorieren Töne einführen kannst.
Dann beschäftigen wir uns mit unseren Fingern. Jeder Finger ist anders lang und dick und hat einen eigenen Namen. Da die Namen aber zum Aufschreiben viel zu lang sind, nehmen wir am Klavier Zahlen. Nachdem der Fingersatz eingeführt ist, rufen wir einzelne Finger, die uns dann zuwinken. Um sich dies besser merken zu können, setzen wir uns auf den Boden und malen die Hände des Kindes ab. Anschließend schreibt es den Fingersatz an die jeweiligen Finger. Dies ist ein kurzer Szenenwechsel, eine kleine Wiederholung und eine Erinnerung an die erste Klavierstunde, da das Blatt mit nach Hause genommen werden darf.
Ich erkläre noch nicht viel zur Fingerhaltung. Ich zeige sie aber und fordere das Kind auf, die Finger schön rund zu machen. Ich beobachte was passiert, wenn ich das Kind an die Haltung erinnere, denn ich möchte ein Gefühl für die Finger bekommen. Damit starten wir dann aber erst in der zweiten Stunde richtig.
Als letzten Punkt geht es zurück an das Klavier. Wir wiederholen kurz die Sitzhaltung und ich zeige dem Kind ein erstes Stück, welches dann auswendig gelernt wird. Je nach Alter und Eindruck nehme ich „Schneck im Haus“ (Zweitonlied mit einem Finger) oder den ersten Teil vom „Affen Cha Cha Cha“. So wird das Lied in „Klavierspielen mit der Maus“ von Bettina Schwedhelm genannt, in Emonts Europäischer Schule heißt es „Dr. Faustus Jux mit schwarzen Tasten“ und in Amerika kennt man es unter „I love Coffee, I love Tea“.
Dabei beobachte ich, wie das Kind meine Erklärungen aufnimmt und umsetzt und ob und wie es bei Fehlern reagiert.
Zum Abschluss ist Zeit für Fragen seitens der Mutter und ich erkläre kurz die wichtigsten Punkte meines Vertrages. Außerdem händige ich auch ein Info-Blatt mit einigen Erklärungen zu kurzen Fingernägeln und regelmäßigem Üben und ähnlichem aus. In „Die Probestunde – nutze diesen Moment“ erfährst du, warum dies deinen Unterrichtsalltag erleichtern wird.
Niemand muss sich sofort entscheiden. Ich empfehle, die Entscheidung für oder gegen den Klavierunterricht ein paar Tage reifen zu lassen und das Kind zu beobachten. Spricht es über die Probestunde? Fragt es, wann wieder Klavier ist?
Wie schon erwähnt sind für mich das Interesse des Kindes und ein gutes Üben am wichtigsten. Ob das Kind wirklich spielen will, versuche ich in der Stunde zu spüren. Außerdem schaue ich mir die Mutter genau an. Wirkt sie organisiert, so dass sie die Übeeinheiten unter der Woche in den Alltag einbinden wird? Alles andere sehe ich als meine Aufgabe an.
Gab es Überraschungen für dich?
Nun weißt du also genau, wie ich nach und nach meine Probestunde immer mehr verfeinert habe und was ich für Aktivitäten mache. Gab es etwas, was neu für dich war? Was machst du anders? Worauf achtest du in der Probestunde?
Bitte teile es doch mit allen in den Kommentaren. Wir können gemeinsam davon profitieren.